Auch bei gesteigerter Unterhaltspflicht muss die Zurechnung fiktiver Einkünfte den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit entsprechen

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.06.2012
Az.: 1 BvR 774/10

Zum Sachverhalt:
Der 1964 geborene, aus Ghana stammende Beschwerdeführer wandte sich hier gegen die Zurechnung fiktiver Einkünfte. Der Beschwerdeführer lebt seit einiger Zeit in Deutschland, verfügt bisher aber nur über unzureichende Deutschkenntnisse. Er ist Vater einer volljährigen und einer minderjährigen Tochter in Ghana, sowie eines 2006 in Deutschland geborenen Sohnes für den er Unterhaltspflichten in Höhe von 125 € anerkannt hat. Durch seine Tätigkeit als Küchenhelfer verfügt der Beschwerdeführer über ein Einkommen in Höhe von 1027 € netto im Monat.
Da der Beschwerdeführer somit nicht den Mindestunterhalt in Höhe von 199 € zahlen konnte, hatte ihm das Amtsgericht einen fiktiven Lohn aus einer Erwerbstätigkeit in Höhe von 1198€ netto zugerechnet. Das Gericht war der Auffassung, der Beschwerdeführer hätte eine Tätigkeit finden können, in welcher er 10 € brutto die Stunde hätte verdienen können. Selbst bei Abzug des angemessenen Unterhaltes in Höhe von 122 € für das Kind in Ghana, hätte er also 176 € Unterhalt zahlen können und den restlichen Unterhalt in Höhe von 23 € aus einer Nebentätigkeit decken können. Eine Berufung gegen dieses Urteil hatte das OLG abgelehnt.

Begründung:
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das Gericht sah, dass die angefochtene Entscheidung den Kläger in seinen Grundrechten auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Eine Auflegung von Unterhaltslasten schränkt eine solche Handlungsfreiheit zwar ein, allerdings nur insoweit, wie eine solche Auferlegung auch verhältnismäßig ist. Im Unterhaltsrecht bedeutet dies, dass fiktive Einkünfte nur dann berücksichtigt werden können, wenn subjektive Erwerbsbemühungen des Unterhaltspflichtigen fehlen und es mögliche und zumutbare Tätigkeiten gegeben hätte, die der Unterhaltspflichtige aufgrund seiner persönlichen Voraussetzungen bei gutem Willen hätte ausüben können. Es darf demnach also nichts Unmögliches verlangt werden.
Das OLG hatte in der angegriffenen Entscheidung allerdings nicht dargelegt, wie es zu der Feststellung gekommen war, der Beschwerdeführer hätte bei einer anderen Tätigkeit 10 € brutto verdienen können. Es hatte sich weder mit den derzeit gängigen Löhnen für ungelernte Kräfte noch mit den persönlichen Voraussetzungen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der allgemeinen Situation am Arbeitsmarkt beschäftigt. Zudem hätten auch bei einem fiktiven Lohn von 1198 € ca. 60 € als fiktive berufsbedingte Aufwendungen abgezogen werden müssen. Die Aufnahme einer Nebentätigkeit zur Deckung der restlichen 23 € sah das Gericht dagegen als verhältnismäßig an, da der Beschwerdeführer im Verfahren nicht vorbringen konnte inwieweit er an der Aufnahme einer solchen Tätigkeit gehindert sei.