Vor einem Sorgerechtsentzug müssen öffentliche (Erziehungs-) Hilfen als milderes Mittel in Betracht gezogen werden

Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 29.05.2012
Az.: 11 UF 266/12

Die Parteien streiten um die Aufrechterhaltung eines Sorgerechtsentzuges. Das Kind wurde im Jahre 2012 geboren, beide Kindeseltern leben zusammen. Aus einer früheren Beziehung der Mutter stammen zwei weitere Kinder, von denen das jüngere, 1995 geborene Kind, von August 2010 bis Mai 2011 stationäre Erziehungshilfe erhielt. Mit Beschluss des AG Koblenz wurden der alleinsorgeberechtigten Kindesmutter weite Teile der elterlichen Sorge, u.a. das Aufenthaltsbestimmungsrecht, entzogen. Das AG Andernach hob diese Entscheidung, die im Rahmen einer einstweiligen Anordnung getroffen wurde, auf. Eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie, trotz psychischer Labilität der Kindesmutter, ist nach Ansicht des Gerichts nicht notwendig, sofern regelmäßige Kontrollbesuche und der Einsatz einer Familienhilfe stattfinden würden. Die Kindesmutter stellte direkt nach dieser Entscheidung einen Antrag auf Erziehungshilfe.
Das Jugendamt legte Beschwerde beim Oberlandesgericht ein mit dem Ziel, der Kindesmutter Teile der elterlichen Sorge wieder zu entziehen.

Das OLG Koblenz hat die Entscheidung des AG Andernach bestätigt.
Das Gericht stützte diese Entscheidung darauf, dass gemäß § 1666 a BGB Maßnahmen, die mit der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden seien, nur dann zulässig sind, wenn die Gefahr für das Kindeswohl nicht mit anderen Mittel und auch nicht durch öffentliche Hilfen beseitigt werden kann. Vorrangige Maßnahmen sind dabei die öffentlichen Hilfen nach den §§ 11 bis 40 SGB VIII, also zum Beispiel auch das zur Verfügung stellen einer sozialpädagogischen Familienhilfe. Das Gericht kann daher statt der Entziehung des Sorgerechtes auch die Inanspruchnahme öffentlichen Hilfen anordnen.
Die Kindesmutter hatte in diesem Fall ausdrücklich erklärt, eine sozialpädagogische Familienhilfe uneingeschränkt zu befürworten und hatte somit gemäß §§ 27, 31 SGB VIII ihre Bereitschaft zur Mitwirkung zum Ausdruck gebracht, weshalb eine Entziehung der elterlichen Sorge nicht verhältnismäßig war.